L. 28 DIE ZEIT IST ERFÜLLT UND DAS REICH GOTTES IST HERBEIGEKOMMEN. TUT BUSSE UND GLAUBT AN DAS EVANGELIUM! (Mk 1,15): Jesu Verkündigung von der Herrschaft Gottes  (Matthäus / Markus / Lukas)
 
1. DIE ZEIT IST ERFÜLLT (Mk 1,15a)
a) Die Hoffnung der Propheten auf Gottes offenbare Herrschaft
b) Die Hoffnung der Zeitgenossen Jesu auf die Durchsetzung der 
Gottesherrschaft
c) Jesus verkündigt, dass das Reich Gottes in seinem Wirken 
anbricht
 
2. DAS REICH GOTTES IST HERBEIGEKOMMEN (Mk 1,15b)
a) Jesu Gleichnisse vom Reich Gottes
b) Das Gottesreich überwindet die Macht des Bösen
c) ARMEN WIRD DAS EVANGELIUM GEPREDIGT (Mt 11,5)
d) DEIN REICH KOMME (Mt 6,10)
 
3. TUT BUSSE UND GLAUBT AN DAS EVANGELIUM (Mk 1,15c)
a) Im Glauben „empfangen“ wir das Reich Gottes
b) Das neue Leben in Gottes Gemeinschaft
c) UND FÜHRE UNS NICHT IN VERSUCHUNG, SONDERN ERLÖSE UNS VON DEM BÖSEN (Mt 6,13)
 
 
1. DIE ZEIT IST ERFÜLLT (Mk 1,15a)
 
a) Die Hoffnung der Propheten auf Gottes offenbare Herrschaft
(è SB 40 Nr. 1) Wie kein anderer Begriff, so prägt die Botschaft vom Reich Gottes die Verkündigung und das Wirken Jesu. Himmelreich meint sachlich dasselbe, vermeidet aber aus Respekt vor dem 2. Gebot die Nennung des Gottesnamens. Reich Gottes oder Himmelreich ist in der Bibel nicht im örtlichen Sinne eines Reichsgebietes zu verstehen, sondern es meint soviel wie Herrschaft Gottes, dass nämlich Gott, der Schöpfer des Himmels und der Erde, seine Herrschaft über Menschen und Welt ausübt. Im Zusammenhang der Besprechung der prophetischen Heilsverheißungen hatten wir gesehen, dass Gott eine gänzlich neue Zeit heraufführen wird (< L. 19 Nr. 3c), in der Israel und die Menschheit zu einem neuen Verhältnis zu Gott finden (< L. 19 Nr. 3b). Mit unterschiedlichen Vorstellungen bringen die Propheten zum Ausdruck, wie sich in dieser letzten Zeit Gottes dann offenbare Herrschaft verwirklicht (< L. 19 Nr. 4a–d).
 
b) Die Hoffnung der Zeitgenossen Jesu auf die Durchsetzung 
der Gottesherrschaft
Zur Zeit Jesu spielte die Erwartung der Gottesherrschaft eine wichtige Rolle (< L. 24 Nr. 5a erster Absatz), wenngleich die Apokalyptiker, die Pharisäer oder auch die Zeloten unterschiedliche Vorstellungen von der Verwirklichung der Gottesherrschaft hatten. Die Apokalyptiker (< L. 24 Nr. 3c) sprachen gerne von den zwei Weltzeiten – einer gegenwärtigen und einer zukünftigen. Nach dem Endgericht werden die Geretteten mit Gott in der Ewigkeit (in der zweiten Weltzeit) zusammenleben. 
    
Nach pharisäisch-schriftgelehrter Überzeugung übt Gott seine Herrschaft gegen- wärtig über das Volk Israel aus, das – anders als die Heiden – mit dem Geset- zesgehorsam und dem Bekenntnis zum Monotheismus (5. Mose 6,4–5; < L. 7 Nr. 2) „das Joch der Königsherrschaft des Himmels“ auf sich nimmt und so Gottes Herrsein anerkennt. Als große Anfechtung wurde die heidnische Fremdherrschaft über Israel empfunden. Deswegen betete der fromme Jude täglich im Achtzehnbittengebet und an jedem Sabbat im Kaddisch darum, dass Gottes Herrschaft offenbar werden möge: „Mach wieder unsere Richter wie zuerst, und unsere Berater wie am Anfang! Herrsche über uns, alleinig du!“ (vgl. Ri 8,23). „Er lasse herrschen seine Königsherrschaft zu euren Lebzeiten und zu euren Tagen ... in Eile und Bälde.“ 
   
Die offenbare Aufrichtung der Königsherrschaft Gottes über Israel und die Welt war nach einem alten jüdischen Zeugnis für den gläubigen Juden gleichbedeutend mit der Vernichtung der heidnischen Oberhoheit und ihres Götzendienstes: „Wenn der Götzendienst ausgerottet sein wird samt seinen Verehrern ..., dann wird JHWH König sein über die ganze Erde.“ Seine offenbare Herrschaft war als ein REICH VON DIESER WELT (vgl. Joh 18,36) gedacht mit Israel an der Spitze der Völker und Jerusalem als Hauptstadt (vgl. Apg 1,6). (è SB 40 Nr. 2) Durch unbedingten Gesetzesgehorsam (< L. 24 Nr. 3e2; L.27 Nr. 4b) versuchten die Pharisäer, das Kommen des Messias und der Gottesherrschaft zu beschleunigen. Durch antirömische militärische Aktionen wollten die Zeloten (< L. 24 Nr. 4b) die Verwirklichung von Gottes Reich vorantreiben und herbeiführen.
 
c) Jesus verkündigt, dass das Reich Gottes in seinem Wirken anbricht
Während Jesus bei der Verwendung des Messiastitels Zurückhaltung übte, um nicht im zelotischen Sinne missverstanden zu werden (< L. 24 Nr. 5a), hat er den in seinem Volk gebräuchlichen Begriff Reich/Herrschaft Gottes aufgegriffen, auch wenn er damit andere Inhalte verband als seine Zeitgenossen. Wie sie sah Jesus die vollkommene Aufrichtung von Gottes Herrschaft als ein zukünftiges Geschehen an (s.u.). Doch entgegen ihren Vorstellungen verkündigte er, dass das Reich Gottes schon NAHE HERBEIGEKOMMEN, ja in seinem Wirken angebrochen sei (z.B. Mt 4,17; 12,28; s. auch u.). Für die Pharisäer etwa bedeutete der Anbruch der Gottesherrschaft die große Wende auf Erden, die jedermann wahrnehmen konnte. Dieser Überzeugung widersprach Jesus: DAS REICH GOTTES KOMMT NICHT SO, DASS MAN'S BEOBACHTEN KANN; MAN WIRD AUCH NICHT SAGEN: SIEHE, HIER IST ES! ODER: DA IST ES! DENN SIEHE, DAS REICH GOTTES IST MITTEN UNTER EUCH (Lk 17,20–21).
 
 
2. DAS REICH GOTTES IST HERBEIGEKOMMEN (Mk 1,15b)
 
a) Jesu Gleichnisse vom Reich Gottes
Auf die Einwände der religiösen Führer seines Volkes hat Jesus insbesondere mit Gleichnissen (Vergleichsgeschichten) geantwortet (è SB 40 Nr. 11). Ihrem Anstoß an dem von ihm behaupteten Anbruch des Gottesreiches ist er mit sogenannten Kontrastgleichnissen begegnet, bei denen der Schwerpunkt des Vergleichs auf dem unscheinbaren Anfang und dem überwältigenden Ende liegt. Diese Gleichnisse wollen DAS GEHEIMNIS DES REICHES GOTTES erschließen (Mk 4,11).
    
Im Gleichnis vom Sämann (Mk 4,1–9) ist zunächst ausführlich vom vergeblichen Tun das Sämanns die Rede (4,3–7), doch dann stellt sich 30-, 60- und 100-fältige Frucht ein (4,8; ein sieben- bis zwölffacher Ertrag galt zu Jesu Zeit als ein gutes Ernteergebnis). Dieses Gleichnis will sagen, dass das in Jesu Wort und Wirken anbrechende Reich Gottes sich so gewiss durchsetzen wird, wie auf die Arbeit eines Sämanns eine unerwartet gute Ernte folgte.
 
(è SB 40 Nr. 4) Geht nach jüdischer Überzeugung dem Beginn der Heilszeit das Endgericht voraus (Mt 3,7–12), so ist das Gericht nach Jesus eine Folge von Gottes Heilsangebot, das er uns Menschen durch Jesus macht (Mt 11,4–5 = Jes 35,5.6; 61,1; s. L. 26 Nr. 3d2). Man kann dieses Heil in kindlichem Glauben annehmen (z.B. Mk 10,14–15) oder sich davon ausschließen, indem man Anstoß an dem gottgesandten, doch menschlichen Verkündiger und Bringer des Gottesreiches nimmt (Mt 11,6; Joh 3,16–19; < L. 25 Nr. 2 und Nr. 3c; L. 27 Nr. 6; Mk 3,28–30: wer bestreitet, dass Gott durch seinen Geist in Jesu Worten und Taten wirkt, HAT KEINE VERGEBUNG IN EWIGKEIT = hat sich selber von Gottes durch Christus übermitteltes Vergebungsangebot ausgeschlossen).
    
In den Gleichnissen vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24–30) und vom Fischnetz (Mt 13,47–50) ist vom Himmelreich die Rede, das gegenwärtig nicht als lupenreine „Gemeinschaft der Heiligen“ erfahrbar ist. Das Gericht (= die Scheidung von „Unkraut“ und Weizen“ bzw. von „guten“ und „schlechten“ Fischen) steht nicht am Beginn des Gottesreichs, sondern an seinem Ende. Nicht Menschen vollziehen das Gericht, sondern Gott (Mt 13,28–30.49–50). So ist das in Jesu Worten und Wirken anbrechende Gottesreich keine eindeutige, jedermann erkennbare Größe, in der Sünde, Böses, Leid und Tod gänzlich überwunden sind. Jesu Krankenheilungen und sein vergebendes Wort sind als Zeichen dafür anzusehen, dass Gottes Reich NAHE HERBEIGEKOMMEN (Mt 4,17) ist.
    
Mit den Kontrastgleichnissen vom Senfkorn und vom Sauerteig (Mt 13,31–32.33) versucht Jesus, auf den Anstoß seiner Zeitgenossen einzugehen, den ihnen der unscheinbare Anfang des Gottesreiches in seinem Wirken bereitet: Wie aus einem ganz kleinen Senfkorn (Anfang) ein mächtiger Baum wird (Ende), wie eine geringe Menge Sauerteig (Anfang) die Riesenmenge von einem halben Zentner Mehl durchsäuert (Ende), so wird auch durch Jesu zeichenhaftes Reden und Tun (Anfang) das Reich Gottes einst vollendete, offenbare Wirklichkeit werden (Ende).
   
„Genau durch dieses unscheinbare Wirken Jesu und nur auf diesem Wege kommt das Reich Gottes, durch das alles neu wird. Das Gleichnis ist auch heute unvermindert akut: Was ist nach einer zweitausendjährigen Geschichte des Christentums als Weltreligion von dem neuen Menschen und der neuen Welt zu sehen? Nichts als das Senfkorn! Menschen, die durch die Botschaft zu Glauben und Nachfolge berufen sind. Und doch kommt so und nur so die neue Welt; das ist nach Ostern gewisser als vorher“ (Leonhard Goppelt).
 
b) Das Gottesreich überwindet die Macht des Bösen
Weil Jesu Anspruch mit den in seinem Volk verbreiteten Heilsvorstellungen nicht in Übereinstimmung zu bringen war, wurde seine Vollmacht immer wieder in Frage gestellt (< L. 25 Nr. 2). Eine Krankenheilung (Lk 11,14) führte zu einer doppelten Reaktion: Einige unterstellten Jesus, dass er DIE BÖSEN GEISTER in der Kraft BEELZEBULS, IHRES OBERSTEN austreibe (11,15), dass er also mit dem Teufel im Bunde stehe. Andere forderten ihn auf, zu beweisen, dass er im Auftrage Gottes gehandelt habe (das ZEICHEN VOM HIMMEL [= von Gott] würde das offenbar machen: 11,16). Jesus entgegnete daraufhin zweierlei: 
    
(1) Das Reich des Bösen mit dem Satan an seiner Spitze löst sich nicht von selber auf. Wenn Jesus den lebensschädigenden Kräften des Bösen (DEN BÖSEN GEISTERN) Einhalt gebietet, dann ist in ihm ja ein STÄRKERER erschienen, der die Macht des Bösen – ob man sie personifiziert oder nicht – überwindet, d.h. DIE BEUTE VERTEILT (Lk 11,17–18.21–22).
   
(2) (è SB 40 Nr. 5) Darum sind Jesu Heilungen als Zeichen der bereits angebrochenen Gottesherrschaft zu verstehen, die sich gegen die lebenshemmende Macht des Bösen durchsetzt: WENN ICH ABER DURCH GOTTES FINGER DIE BÖSEN GEISTER AUSTREIBE, SO IST JA DAS REICH GOTTES ZU EUCH GEKOMMEN (Lk 11,20; s. Genaueres in L. 26 Nr. 3d2; von der Gegenwart des Gottesreiches im Wirken Jesu sprechen auch Mk 2,18–22; 4,21– 22; Mt 13,15–17; 16,19; 18,18; Lk 10,3–12).
 
c) ARMEN WIRD DAS EVANGELIUM GEPREDIGT (Mt 11,5)
Auf die Anfrage des Täufers antwortet Jesus: SAGT JOHANNES WIEDER, WAS IHR HÖRT UND SEHT (Mt 11,4). Die Zeichen und Wunder Jesu – etwa die Krankenheilungen (Mt 11,5; < L. 25 Nr. 3d2) – kann man sehen. Hören kann man, dass DEN ARMEN DAS EVANGELIUM GEPREDIGT WIRD (Mt 11,5). In Jesu Predigt und Handeln kommt Gottes Reich zu uns Menschen (Mt 4,23; 9,35; Lk 4,16–22). Es ist für Menschen bestimmt, die durch ihre materielle Armut gelernt haben, dass sie auf Gott angewiesen sind. Es gilt Menschen, die GEISTLICH ARM SIND (Mt 5,3), die also begreifen, dass sie Gottes heilvolle Gemeinschaft nötig haben (Mt 11, 28–30; Lk 14,16– 23: die Teilhabe am Reich Gottes wird in der Bibel gerne mit der Teilnahme an einem Festmahl verglichen: Lk 13,29; 14, 15; Mk 14,25; Jes 25,6–8 [< L. 19 Nr. 4d letzter Absatz]). Sie sind offen für Jesu Predigt von der Barmherzigkeit und Menschenliebe Gottes (< L. 27 Nr. 1a). Sie lassen sich durch die Vergebung der Sünden neu in Gottes Gemeinschaft hineinnehmen (z.B. Lk 7,36–50; 18,13; Mk 2,1–12), die in Jesu Tischgemeinschaft mit Zöllnern und Sündern sichtbaren Ausdruck findet (Mk 2,14–17)
    
Jesu Wirken bedeutet HEIL für Menschen, die wie der Oberzöllner Zachäus ohne Gottes Gemeinschaft VERLOREN gingen (Lk 19,9.10). Im Gleichnis vom barmherzigen Vater und seinen zwei Söhnen nimmt der Vater den VERLORENEN Sohn, der mit ihm nichts mehr zu tun haben wollte, neu in seine Gemeinschaft auf (15,12–23). Dieser Akt der Vergebung bedeutet neues Leben: DENN DIESER MEIN SOHN WAR TOT UND IST WIEDER LEBENDIG GEWORDEN; ER WAR VERLOREN UND IST GEFUNDEN WORDEN. UND SIE FINGEN AN, FRÖHLICH ZU SEIN (15,24).
 
d) DEIN REICH KOMME (Mt 6,10)
Wird in den Evangelien auch immer wieder deutlich, dass Gottes Reich im Wirken Jesu anbricht, so teilt Jesus mit seinem Volk doch die Überzeugung, dass Gottes Reich auch eine zukünftige Größe ist. Darum sollen die Jünger beten: DEIN REICH KOMME (Mt 6,10). Darum sagt er beim Abendmahl: WAHRLICH, ICH SAGE EUCH, DASS ICH NICHT MEHR TRINKEN WERDE VOM GEWÄCHS DES WEINSTOCKS BIS AN DEN TAG, AN DEM ICH AUFS NEUE DAVON TRINKE IM REICHE GOTTES (Mk 14,25; s. auch 9,47; Mt 5,4–12; 7,21). Das Verhältnis vom in der Gegenwart angebrochenen und doch auch zukünftigen Gottesreich ist so zu bestimmen, dass im zukünftigen Reich Gottes offenbarsein wird, was im Wirken Jesu (und seiner Kirche) zeichenhaft Wirklichkeit ist. Ist jetzt das Senfkorn wahrnehmbar, so wird dann der Baum zu sehen sein (s.o. Nr. 2a; s. auch L. 19 Nr. 6!).
    
(è SB 40 Nr. 4) Mit dem Offenbarwerden der Gottesherrschaft ist nach Jesu Verkündigung das Endgericht verbunden, in dem die Menschen sich dafür zu verantworten haben, wie sie auf das Heil reagierten, das Gott ihnen in Jesu Worten und Werken anbot (s.o. und z.B. auch Mt 11,20–24; Lk 10,8–12; Mt 25,31–46). Jesus lässt es unbestimmt, wann Gottes Herrschaft offenbare Wirklichkeit wird: VON DEM TAGE ABER UND DER STUNDE WEISS NIEMAND, AUCH DIE ENGEL IM HIMMEL NICHT, AUCH DER SOHN NICHT, SONDERN ALLEIN DER VATER (Mk 13,32). So ungewiss der Zeitpunkt des Endgerichts und des sichtbaren Anbruchs der Gottesherrschaft ist, so gewiss kann Gottes Reich jedoch plötzlich offenbar werden. Für den Christen gilt es darum, schon jetzt wachsam und verantwortungsvoll zu leben. 
    
Dazu rufen die Gleichnisse Mt 24,43 – 25,30 auf, die mit den Worten eingeleitet werden: DARUM WACHET; DENN IHR WISST NICHT, AN WELCHEM TAG EUER HERR KOMMT (Mt 24,42; s. auch 26,64). Gerade weil es so aussieht, dass der HERR NOCH LANGE NICHT KOMMT (Mt 24,48), ist Wachsamkeit geboten, sich nicht an die Welt zu verlieren (Mt 24,37–39) und die Verantwortung für das eigene Leben wie für das anderer Menschen zu vernachlässigen (Mt 24,49). Nur wer sein Leben jederzeit verantwortlich lebt (Mt 25,1–13: Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen), der kann im Gericht auch Rechenschaft ablegen über das, was er EMPFANGEN (!) hat (Mt 25,14–30: Gleichnis von den anvertrauten Zentnern [= riesige Geldsumme]). Jesus will uns Menschen mit diesen auch das Endgericht ansprechenden Gleichnissen keine Angst einflößen, sondern unser Verantwortungsgefühl Gott und unserem Nächsten gegenüber in unserem irdischen Leben stärken, damit es einst auch bei uns heißen kann: GEH HINEIN ZU DEINES HERRN FREUDE! (Mt 25,21.23; < L. 27 Nr. 3b).
 
 
3. TUT BUSSE UND GLAUBT AN DAS EVANGELIUM (Mk 1,15c)
 
a) Im Glauben „empfangen“ wir das Reich Gottes
Das Vaterunser macht uns deutlich, wie Jesus seine Jünger in sein vertrauensvolles Verhältnis zu Gott, dem himmlischen Vater, mit hineinnahm (< L. 25 Nr. 4b). In dieser Haltung kindlichen Vertrauens gelangen wir Menschen unter Gottes Herrschaft: WAHRLICH, ICH SAGE EUCH: WER DAS REICH GOTTES NICHT EMPFÄNGT WIE EIN KIND, DER WIRD NICHT HINEINKOMMEN (Mk 10,15.14; Mt 18,3). Jesus – der Ankündiger und Bringer des Gottesreichs – fordert die Menschen immer wieder zu gläubigem Vertrauen auf (z.B. Mk 1,15c; Mt 17,20; < L. 26 Nr. 3b erster Absatz). Doch bedeutet dieses nicht, dass der Glaube als eine menschliche Vorleistung anzusehen wäre, ohne die kein Mensch in Gottes Reich käme.
     
(è SB 40 Nr. 6) Wir hatten bereits festgestellt, dass der Glaube als Gottes Geschenk an uns Menschen zu begreifen ist (< L. 25 Nr. 5c). In dem Doppelgleichnis vom Schatz im Acker und der kostbaren Perle (Mt 13,44.45–46) wird der Geschenkcharakter des Gottesreiches eindrücklich. Wie in dem Gleichnis von den Arbeitern im Weinberg(Mt 20,1–16) Gottes Güte, die den Menschen anstößig ist (20,15), und nicht die menschliche Leistung (20,12) als Maßstab des Gottesreiches herausgestellt werden (20,1), so begegnen uns auch im Doppelgleichnis vom Schatz im Acker und der kostbaren Perle zwei recht unterschiedliche Menschen, denen Gott gleichermaßen in den Weg tritt: 
    
Der Perlenkaufmann ist ein suchender Mensch, dem es nach der Verheißung Jesu ergeht: SUCHET, SO WERDET IHR FINDEN (Mt 7,7). Bei seiner Suche nach Gott (= nach GUTEN PERLEN) findet er in Gottes Gemeinschaft (= EINE KOSTBARE PERLE). Diese Gemeinschaft wird ihm so wichtig, dass er alles verkauft, was bislang an Werten und Gütern sein Leben ausgemacht hat, um diese eine Perle – Gottes Gemeinschaft – zu erwerben. In diesem Prozess des Suchens, Findens, der Hingabe und des Erwerbens der Gemeinschaft Gottes wird die Hineinnahme dieses Menschen in den Herrschaftsbereich Gottes Wirklichkeit (è SB 40 Nr. 10). – Ganz anders geht es bei dem Landarbeiter zu. Er hat Gott nicht gesucht und doch in seine Gemeinschaft gefunden: Bei der Feldarbeit (= zufällig) findet er einen Schatz (= Gottes Gemeinschaft), freut sich riesig darüber, gibt alles hin, was ihm bislang im Leben wertvoll war, um den Acker zu erwerben, in dem der Schatz verborgen liegt. Auf solche Weise wird dieser Mensch „Bürger des Reiches Gottes“.
     
Jesus sagt mit diesem kurzen, aber sehr inhaltsreichen Doppelgleichnis: Wenn Menschen in Gottes Reich hineinfinden, dann hängt das nicht von ihrer Leistung ab. Dem suchenden Menschen begegnet Gott in seinem Leben ebenso wie dem, der überhaupt nicht nach ihm fragt. Beide erleben aber dasselbe: Die Erfahrung von Gottes Nähe löst in ihnen große Freude aus. Zugleich kehrt sie ihre bisherigen Güter- und Wertevorstellungen um. Darum kehren sie um (= sie TUN BUSSE: Mk 1,15c) und geben ihr bisheriges gott-loses Leben auf, um hinfort als Bürger des Reiches Gottes mit Gott zu leben.
 
b) Das neue Leben in Gottes Gemeinschaft
(è SB 40 Nr. 7) Das Leben in der Gemeinschaft des barmherzigen Gottes (= unter der Herrschaft Gottes) unterscheidet sich von einem Leben ohne Gott nicht unerheblich (Lk 15,24.32: es ist wie der Unterschied von Tod und Leben; s. auch Mt 8, 22; Joh 3, 36). Wo das Vertrauen auf Gott, den himmlischen Vater, das Leben eines Menschen bestimmt (1. Gebot), da kann er frei werden von der Vergötzung irdischer Güter wie Geld und Besitz (Mt 6,24; Lk 12,13–15), frei von der Sicherung des Lebens an Gott vorbei (Lk 16,16–21; Mt 6,27), frei zur Wahrhaftigkeit (Mt 5, 37; 6,1–3.5–8.16–18), frei zum Verzicht (Mt 5,38–42), zur Vergebung (Mt 6,12; 18, 21–35; < L. 27 Nr. 1a) und zur uneingeschränkten Liebe (Mt 5,43–48; < L. 27 Nr. 3).
     
Dieses besonders dicht in der Bergpredigt beschriebene Leben als Bürger des Gottesreiches ist nicht als eine Liste von Forderungen zu verstehen, die wir Menschen zu erfüllen haben. Sondern es handelt sich auch hier um ein EVANGELIUM, also um eine frohe Botschaft. Jesus verheißt uns: Wenn ihr Menschen in Gottes Gemeinschaft gefunden habt, dann wird Gottes Herrschaft auch auf euer Leben abfärben, dass ihr zu besonderem Verhalten in dieser gottabgewandten Welt fähig werdet. Darum TRACHTET ZUERST NACH DEM REICH GOTTES UND NACH SEINER GERECHTIGKEIT, SO WIRD EUCH DAS ALLES ZUFALLEN (Mt 6,33). Wenn Gott von den an ihn Glaubenden besonderes Verhalten erwartet, dann befähigt er sie auch dazu, wie die neutestamentliche Rede von der prägenden Kraft des Wortes Christi oder des Heiligen Geistes bezeugt (Wort Jesu: Mt 13,23; 24,35; Mk 2,2; Lk 5,5; Joh 6,63 – Geist Gottes: Mt 12,28; Mk 13,11; Joh 16,5–13; Apg 1,8).
    
Die bei Matthäus in der Bergpredigt (Mt 5–7) zusammengestellten Jesusworte wirken wie eine Überforderung besonders dann, wenn man sie als gesetzliche Dienstanweisung Jesu für jeden Christen versteht. Darum sagt Claus Westermann: „Für unser Verstehen der Bergpredigt ist es zunächst eine Befreiung, wenn deutlich geworden ist, dass keine dieser Forderungen an jeden Christen zu jeder Zeit und in jeder beliebigen Situation gerichtet, sondern jede ein Ruf zu einem besonderen, außerordentlichen, zeichenhaften Tun ist“, das die Nähe und Wirklichkeit des Reiches Gottes bezeugt. So ist auch die Aufforderung Jesu an den reichen Jüngling, alles zu verkaufen, was er hat, es den Armen zu geben und danach Jesus nachzufolgen (Mk 10,21), keine gesetzliche Forderung an jeden Christen, sondern Jesu konkretes Wort an diesen jungen Mann in der dargestellten Situation (Mk 10,17– 21a)
    
Und dennoch gilt von dieser Geschichte (s. Mk 10,22–27) wie auch von der Bergpredigt, dass man sich davor hüten muss, sich dem Anspruch Jesu vorschnell zu entziehen: „Jeder Hörer der Bergpredigt ist immer neu gefragt, ob etwa gerade von ihm, ob et-wa gerade in seiner Situation das Zeichen eines solchen Handelns erwartet ist, ob nicht eines der Worte der Bergpredigt gerade für ihn und gerade für diese Stunde, in der er das Wort hört, gesagt ist“ (Claus Westermann). Gott befähigt uns zu Verhaltensweisen, die dem Leben unter seiner Herrschaft angemessen sind: BEI DEN MENSCHEN IST'S UNMÖGLICH, ABER NICHT BEI GOTT; DENN ALLE DINGE SIND MÖGLICH BEI GOTT (Mk 10,27).
 
c) UND FÜHRE UNS NICHT IN VERSUCHUNG, SONDERN ERLÖSE UNS VON DEM BÖSEN (Mt 6,13)
Wir hatten herausgearbeitet, dass wir Menschen in gläubigem Vertrauen (s.o. Nr. 3a) in Gottes Gemeinschaft finden (= Überwindung der Gottesferne, der Sünde). Unter dem Einfluss von Jesu Wort und Gottes Geist führen wir dann als Bürger des Reiches Gottes ein anderes Leben als Menschen, die Gott nicht kennen. Dieses NEUE Leben (2. Kor 5,17) ist im Grunde nichts anderes als eine erneute Verwirklichung des vierfachen Friedens, der durch die misstrauische Auflehnung des Menschen gegen Gott zerstört wurde (< L. 3 Nr. 2b–c und Nr. 3)
    
(è SB 40 Nr. 9) Wer durch das Evangelium von der Menschenliebe Gottes Zutrauen zu Gott gewonnen hat, wer wie der verlorene Sohn in Gottes Gemeinschaft zurückfand, dessen Leben wird vom vierfachen Frieden geprägt: Er wird Gott nicht mehr davonlaufen, sondern die Gemeinschaft mit ihm pflegen (= Friede mit Gott). Er wird sich selber durch die Botschaft der Bibel besser verstehen und annehmen lernen (= Friede mit sich selbst). Seine Nächstenliebe (= Friede mit anderen) und seine Achtung vor Gottes Schöpfung (= Friede mit der Natur) werden unter dem Einfluss des Wortes Jesu wachsen (Mt 7,17–18.24–27; Mk 4,8; Joh 15,1–8; s. Genaueres in L. 3 Nr. 5).
    
Doch auch dieses gilt es zu berücksichtigen: Das Reich Gottes ist noch keine offenbare Größe (s.o. Nr. 2d). WIR SIND, wie es Paulus sagt, ZWAR GERETTET, DOCH AUF HOFFNUNG (Röm 8,24; < L.19 Nr.6). WIR WANDELN IM GLAUBEN UND NICHT IM SCHAUEN (2. Kor 5,7). Wir beten darum immer wieder: DEIN REICH KOMME. Solange das Reich Gottes noch nicht vollendete Wirklichkeit ist, haben wir Christen wachsam zu sein, dass unser Verhältnis zu Gott nicht Schaden leidet: WACHET UND BETET, DASS IHR NICHT IN VERSUCHUNG FALLT! DER GEIST IST WILLIG; ABER DAS FLEISCH IST SCHWACH (Mk 14,38). Im Neuen Testament wird die – zumeist im „Satan“ personifizierte – Macht des Bösen ganz ernst genommen (Mk 4,3–9.15–19; 8,33; Mt 7,13–14; 13, 25.28.39; Lk 13,16; 22,3; Joh 8,43–45; Apg 5,3). Zugleich wird verkündigt, dass Jesus diese Macht überwunden hat (Mt 4,10; Mk 3,27; Lk 10,18; Joh 16,33; s. Genaueres in L. 26 Nr. 2). Im Vertrauen darauf können wir uns jederzeit an den wenden, DER VERSUCHT WORDEN IST IN ALLEM WIE WIR, DOCH dabei OHNE SÜNDE geblieben ist, DAMIT WIR BARMHERZIGKEIT EMPFANGEN UND GNADE FINDEN ZU DER ZEIT, WENN WIR HILFE NÖTIG HABEN (Hebr 4,15–16). 
    
Weil Gottes Reich erst in der Zukunft offenbar wird, haben wir Menschen Gott immer wieder darum zu bitten, uns vor dem Abfall von ihm (VERSUCHUNG – s. Lk 22,31–32; Mk 9,42–47) zu bewahren und von der Macht DES BÖSEN zu ERLÖSEN (Mt 6,13; 1. Petr 5,8; Röm 8,31–39). Was auf Erden zeichenhaft begann (SENFKORN: Mt 13,31), das soll im offenbaren Reich Gottes einst vollendete Wirklichkeit werden (BAUM: Mt 13,32; s.o. Nr. 2a). (è SB 40 Nr. 8) Jegliches gottfeindliche Wesen wird dann gänzlich überwunden sein, wie auch der vierfache Friede in einer die erste Schöpfung überbietenden Weise das Leben in Gottes direkter Gemeinschaft bestimmt (Mt 25,41; 1. Kor 15,20–26.54–57; Offb 20,14; 21,3–5; 22,1–5).

Grafik zu Lk 15,11–32 von Hans Georg Anniès